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Ikonographisches II - Vermischung von profanen und heiligen Inhalten?

Der Zahnbrecher - M. J. Schmidt 1787


Martin Johann Schmidt, Der Zahnbrecher, Öl auf Zinkblech, 47 x 64 cm, 1787, Hofgalerie Ulrich Hofstätter - Privatfoto

Heute geht es um einen Künstler, der zwar ein riesiges Oeuvre (= Gesamtwerk) schuf und dessen Name den meisten dennoch völlig unbekannt ist - Martin Johann Schmidt, genannt: Kremser Schmidt.
Er lebte von 1718-1801 in Stein an der Donau, nah bei Krems und circa 80 Kilometer von der Hauptstadt und Kulturmetropole Wien entfernt. Seine Haupttätigkeit bestand im Malen von Altarbildern, Andachtsbildern und Fresken - sein Gebiet war also vornehmlich die katholisch-religiösen Motivik. Das ist wohl auch der Grund dafür, wieso er so vielen Menschen als Maler unbekannt ist und dringend ENTSTAUBT gehört.

Hin und wieder aber wagte sich Schmidt auch in unbekanntere Gefilde, wie die der Genremalerei. Hier sehen wir so ein Beispiel: Den Zahnbrecher.
Es existieren unheimlich viele Gemälde, Stiche und Holzschnitte verschiedener Künstler/innen, die das Thema "Zahnbrecher" behandeln. Kein Wunder: Wer kennt Zahnweh und die unangenehmen Folgen von Zahnoperationen nicht?
Jedoch darf die damalige Zahnmedizin keinesfalls als auch nur ansatzweise ähnlich angenommen werden, wie die, die wir heute kennen. Bis zur Wende des 19. zum 20. Jahrhundert galt die Zahnmedizin nicht als eigener Zweig, sie wurde eigentlich gar nicht als Medizin wahrgenommen. So oblag es herumreisenden Zahnbrechern, Quacksalbern und Scharlatanen oder ansässigen Badern, Zähne zu ziehen oder herauszubrechen. Diese sehr schmerzhaften und blutigen "Operationen" fanden zumeist auf Kirmessen und Volksfesten statt. Sie waren also ein öffentliches Ereignis, häufig mit vielen Zuschauer/innen, viel Brimborium und Geschrei.

Künstler nahmen verschiedene Themen auf unter die sie ihre Zahnbrecher-Motive stellten. Sehr verbreitet ist die Darstellung des Operateurs oder seiner Gehilfen als diebisches, gemeines Volk.
Wie hier bei Lucas van Leyden, bei dem die Gehilfin des Arztes während der schmerzhaften Operation in den Geldbeutel des Patienten greift und ihn bestiehlt.

Lucas van Leyden, Der Zahnarzt, 1523, Druckgraphik eines Kupferstichs, 11, 7 x 7, 7 cm, Graphische Sammlung der ETH Zürich. 
Häufig wählten Künstler auch das Motiv des Zahnbrecher oder Quacksalbers (diese Bezeichnungen gehen oft miteinander überein), um wildes Leben, ruchloses Treiben, aufregende Kleidungsstücke, exotische Tiere und schmerzverzerrte Gesichter (beim Patienten) darzustellen, wie bei diesem Stich von Franz Anton Maulbertsch, einem Zeitgenossen Schmidts.

Franz Anton Maulbertsch, Der Zahnbrecher, 1785, Druck eines Kupferstichs, 30 x 40, 5 cm, British Museum, London.
Doch wer sich jetzt noch einmal das Gemälde des Kremser Schmidt anschaut, dem fällt auf: Hier wird niemand bestohlen, hier ist kein Gewusel, Gedrängel und die hell erleuchtete, elegante Dame in Rot-Blau strahlt eine angenehme Ruhe aus. Sie sticht heraus, sie ist der Blickpunkt. In keiner anderen Darstellung von Zahnbrechern ist eine solche Dame zu finden. 
Wer könnte sie sein? Was sucht sie mit ihrer Anmut und Grazie in dieser eigentlich brutalen Szene?
Ein wichtiger Hinweis kann ihre Kleidung sein: Rot, Blau und Weiß gelten ikonographisch als Farben heiliger Personen. Ihr Abgerücktsein und ihre Helligkeit könnten auch als Indizien für einen Heiligenstatus der Dame sprechen. Doch wenn sie eine Heilige sein sollte, welche wäre sie?
Die einzige in Frage kommende wäre die Heilige Apollonia - die Schutzheilige der Zahnkranken (HIER findest Du Infos zu Schutzpatronen). Deren ikonographisches Erkennungszeichen ist eine Zange mit einem Zahn zwischen den Backen. Zwar hält die Dame die Zange nicht in der Hand, allerdings liegt ihr Kopf auf einer Geraden mit der Zange. Auch ihr Gestus, hin zum Ort des Geschehens, dem Kiefer des Patienten, lässt den Blick der Betrachterin zwischen ihr und der Zange hin und her gleiten und also in einen Kontext setzen.

Allerdings wäre diese Vermischung einer sehr profanen (also weltlichen) Szene und einer heiligen Person eher ungewöhnlich in der Kunstgeschichte. Da der Kremser Schmidt als katholisch-konservativer Maler bekannt ist, scheint diese Innovationskraft für ihn unwahrscheinlich.
Doch kann durch die ikonographischen Hinweise wie der spezifischen Farbigkeit der Gewandung und die Nähe zwischen Gesicht der Dame und Zange nicht ausgeschlossen werden, dass Schmidt hier eine kompositorische Verquickung von profaner und heiliger Szenerie schuf.





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