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Ikonographie V - Ein Getümmel am Gnadenstuhl

Die Heilige Dreieinigkeit als Gnadenstuhl, Westfälisch nach 1420, Bodemuseum Berlin. Privatfoto.
Nach einigen Ausflügen in verschiedene Epochen und sogar neuen Bauten, wie die James-Simon-Galerie, zurück zu wirklich verstaubter Kunst. Der Goldgrund stößt ja viele BetrachterInnen bereits ab. Jesus am Kreuz, ein alter, bärtiger Mann auf einem Stuhl und viele Engel werden nicht zur Beliebtheit bei den MuseumsbesucherInnen beitragen.
Jedoch gibt auch dieses große Gemälde, das im 15. Jahrhundert wohl in Westfalen entstand, mal wieder einiges her. 
Ich beginne mit der Mitte (In der Kunstgeschichte große Diskussionen darüber gibt wann man wie mit der Beschreibung beginnen sollte und aus welchen Gründen). 

Detail: Bildmitte
Der alte, bärtige Mann ist natürlich Gottvater, der vor sich das Kreuz mit seinem für die Menschen gestorbenen Sohn präsentiert. An seiner rechten Schulter rauscht gerade eine Taube herbei - der Heilige Geist. Das Thema der christlichen Dreifaltigkeit ist eine nun schon über 1500 Jahre geführte philosophisch-theologische Debatte, die unglaublich komplexe und kleinliche Positionen und Gegenpositionen hervorbrachte. So spaltete sich beispielsweise bereits im Jahr 324 auf dem 1. Konzil von Nicäa eine Glaubensgruppe (die Arianer) von Strang der christlichen Kirche ab. Auf dem Konzil war nämlich beschlossen worden, dass Gott und Sohn wesensgleich seien. Die Arianer hingegen waren der Meinung, Gott sei zuerst da gewesen, dann erst sei der Sohn gekommen und der Sohn habe somit eine untergeordnete Rolle. 
Dieser Streit war im Jahr 324, man kann sich also vorstellen zu wie vielen Diskussionen und Streitigkeiten es daraufhin noch kam!

Dieser Bildtypus mit der Konstellation Gottvater, Jesus am Kreuz (oder als Leichnam) und der heilige Geist nennt sich Gnadenstuhl. Der Name stammt von Luthers Übersetzung "thronus gratiae" aus einem Teil der Bibel und gilt als vollkommenste Darstellung der Trinität.
Um den Gnadenstuhl herum scharen sich vier Engel und vier kleinere Figuren mit Spruchbändern auf denen ihre Namen stehen. Von oben links im Uhrzeigersinn: Ein Engel, ein Adler, ein Löwe und ein Stier. Sie sind die Personifikationen der vier Evangelisten Matthäus, Johannes, Markus und Lukas (HIER mehr zu den Evangelistensymbolen). 

Detail: Linke Bildseite

Auf der (vom Betrachter aus) linken Seite des Gemäldes sehen wir neben der kleinen betenden Person rechts (wohl der Stifter), sechs heilige Männer, alle mit Heiligenschein versehen. Sie alle kennzeichnen sich durch Kleidung, Kopfbedeckung und Attribute aus, sodass sie für den gläubigen Menschen des Mittelalters eindeutig zu identifizieren waren. Beachte wie der Maler jedes einzelne Gewand und jedes Gesicht verschieden und eigen malte. 
Ich beginne oben links: Der gekrönte Mann empfängt aus dem Himmel ein Schwert. Dieses Schwert steht bei Augustinus für das Wort Gottes, das er empfing, um es auf der Welt zu verbreiten. Der Mann rechts neben ihm trägt eine rote Kardinalskluft. Diese kennzeichnet ihn als hl. Hieronymus. Neben ihm steht ein kahlköpfiger Mann mit Buch in den Händen und einem Schwert im Gürtel. Es ist Paulus. Er wird immer kahlköpfig und im Mittelalter mit Spitzbart dargestellt. Das Schwert ist die Waffe mit der er enthauptet wurde.
Unten links sehen wir einen jungen Mann, der einen kleinen Bienenkorb in der Hand hält - das Zeichen von Ambrosius. Neben ihm in päpstlichem Ornat mit Tiara auf dem Kopf präsentiert sich Gregor der Große. Neben ihm schließt sich Petrus an, der leicht an seinem großen Schlüssel, der das Himmelsreich öffnet, zu identifizieren ist.
Augustinus, Hieronymus, Ambrosius und Gregor der Große sind die katholischen Kirchenväter des Abendlandes. Sie stammen aus ganz verschiedenen Epochen (zumeist aus Antike und Mittelalter) und stellten große Dogmen für den christlichen Glauben auf. 
Petrus und Paulus sind Apostel, Petrus sogar Jünger. Sie gehören also zur ersten Garde der Männer, die den christlichen Glauben verbreiteten.
Durch das Lesen der ikonographischen Zeichen (ob Glatze, Schlüssel oder Bienenkorb) kristallisieren sich Personen, Geschichten, Szenen und Epochen aus diesen erst so still dasitzenden Männern heraus. 

Detail: Rechte Bildseite

Die rechte Bildseite ist den Frauen überlassen. Auch bei ihnen gab sich der unbekannte Maler größte Mühe, sie sowohl durch Attribute, als auch durch verschiedene Kleidungsstücke mit unterschiedlicher Stofflichkeit und durch individuelle Gesichtszüge zu kennzeichnen.
Ganz vorne links, nah am Gnadenstuhl, finden wir natürlich Maria, die Mutter Jesu. Sie trägt immer Blau und Rot in wallenden, keuschen Kleidern und hat keinerlei Attribute. Sie steht als heiligste aller Frauen einfach für sich. Rechts neben ihr kann man Maria Magdalena an ihren offenen, wallenden, blonden Haaren erkennen. Zusätzlich hält sie hier in den Armen das Lamm Gottes. Neben ihr hockt eine Dame mit Rad. Das Rad ist das Märtyrerwerkzeug der hl. Katharina
Über ihr hält eine Dame mit Krone ein leuchtendes Handkreuz - das Zeichen der hl. Margareta. Links neben ihr steht eine hübsche, junge Frau mit einem Körbchen voll Blumen oder Früchten. Es ist Dorothea. Neben ihr präsentiert Barbara den Turm, in dem sie vom eigenen Vater gefangen gehalten worden war. 
Barbara, Dorothea, Margareta und Katharina sind heilig gesprochene Märtyrerinnen aber auch Schutzheilige (HIER gehts zu Schutzheiligen). Man nennt sie "Quattuor Virgines Capitales". Sie sind neben Maria und Maria Magdalena die vier wichtigsten weiblichen Heiligen.



Der Maler dieses großen Gemäldes mit dem Thema Gnadenstuhl hat darauf verzichtet nur die Dreifaltigkeit (das eigentliche Thema dieses Motivs) darzustellen. Er fügt zudem die vier Evangelisten, vier Engel und zwölf der wichtigsten Heiligen ein. Die klein dargestellte Person, die von Petrus links unten vor Gott geführt wird ist wahrscheinlich der wohlhabende Auftraggeber, der sich durch die Darstellung in solch einem opulenten Gemälde mit hochkarätigen Heiligen die Aufnahme in den Himmel versprach. Klein ist sie ganz einfach deshalb, weil sie nicht so wichtig ist wie all die Heiligen um sie herum. Ihre Bedeutung ist kleiner, deshalb ist sie kleiner dargestellt - man spricht hier von Bedeutungsperspektive.

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