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Passionswerkzeuge in Perugia - Was steckt hinter all den Händen, Köpfen, Würfeln, Säulen und abgeschnittenen Ohren?

Giovanni di Tommasino Crivelli, Cristo in pietá tra gli strumenti della Passione, um 1450, Galleria Nazionale dell´Umbria (Perugia). Privatfotografie.

Im Herbst und Winter 2019 findet in Perugia der Herbst des Mittelalters in Umbrien statt (L`Autunno del Medioevo in Umbria). Neben Hochzeitstruhen, die ab 1380 üblich im Raum Florenz wurden und zumeist biblische und mythologische Geschichten in geschnitzter, punzierter oder eingravierter Form zeigen, werden auch Altargemälde, Fresken und aufwendige mit Metallen überzogene Holzplatten, die in höchster Handwerkskunst biblische Geschichten erzählen, präsentiert. 

Inhaltlich besonders hervorgehoben werden zwei Gemälde, die nicht ausschließlich aus Farbe auf Holz bestehen, sondern teilweise mit feinen goldenen Platten beschichtet sind, die wiederum durch Punzierung und Gravierung vervollkommnet sind. So sind beispielsweise die Heiligenscheine und die kostbaren Gewänder hervorgehoben worden. Bei beiden Szenen handelt es sich um klassische Verkündigungsszenen - der Engel kommt zu Maria und erklärt der Lesenden, sie würde den Heiland gebären. Das besondere an beiden ist, dass sie Teile der Stadtkulisse Perugias abbilden. Die gezeigte Fassade ist noch immer zu besichtigen. 

Nun soll es ja aber um das oben gezeigte Gemälde gehen. Auch hier hat der Künstler den Nimbus Jesu mit punziertem, geprägtem und zum Teil eingefärbten Gold versehen. Ich habe es ausgewählt, weil mir noch nie solch eine akribische Darstellung der Folterwerkzeuge Christi untergekommen ist. Der Maler wollte der Betrachterin ganz eindeutig vor Augen führen, welche Qualen Jesus erleiden musste. Für den heutigen Betrachter kann das Gemälde wie ein Suchbild, ein Rätsel wirken. Was sollen all diese Hände, Gesichter, Würfel und Werkzeuge?

Dass im Vordergrund sehr präsent der gepeinigte Jesus steht, ist klar. Er trägt die Dornenkrone, über ihm hängt das Schild "INRI" am oberen Teil des Kreuzes (die Abkürzung heißt übrigens übersetzt aus dem Lateinischen: "Jesus von Nazareth, König der Juden" und ist als ironische und abfällige Bemerkung zu Römer zu verstehen), er hat bereits die Seitenwunde und Wundmale an den Händen. Die Hautfarbe und der abgewandte Kopf sollen wohl für den bereits eingetretenen Tod stehen. Es scheint also der bereits von Kreuz genommen Jesus zu sein. Dieser Jesus, der uns so deutlich präsentiert wird, zeigt also das Ende seines irdischen Lebens. Jedoch deutet der leere, hellrote Steinsarg unter ihm bereits auf seine Auferstehung hin.
Viele Abbildungen beschäftigen sich mit diesem Ende, mit diesem verstorbenen Jesus, oft mit den ihn Betrauernden um ihn herum. Auch das Motiv des auferstehenden Jesus, des gepeinigten oder des am Kreuz hängenden Jesus sind wohlbekannt. Jedoch ließ dieser Maler es weder mit dem einen, noch mit dem anderen bewenden. Er führt all diese ikonographischen Momente zusammen. Er zeigt Jesus als sogenannten Schmerzensmann mit den Leidenswerkzeugen um ihn herum - eine Bildidee aus dem 14. Jahrhundert. 
Der Künstler schafft es also in ein Gemälde die ganze Passionsgeschichte, die Kreuzigung und die Auferstehung zu zeigen. Was sonst hintereinander in einem langen Bildzyklus präsentiert wird, ist hier quasi hintereinander im Bildraum gestaffelt: Im Hintergrund die Passion mit Kreuz und Utensilien, im Mittelgrund der leere Sarg und im Vordergrund der verstorbene Jesus.


Nun aber zum eigentlichen Rätselraten - was sind all diese Kleinstabbildungen und wofür stehen sie?
Ich beginne auf der linken Seite. Es handelt sich um
- zwei Personen, jeweils im strengen Profil
- eine Hand, die eine Haarsträhne hält
- eine darbietende oder reichende Hand
- eine Person mit Mütze, die gen Jesus spuckt
- eine sogenannte Feigenhand (Daumen unter den Zeigefinger geschoben)
- einen an einer Leiter Erhängten
- eine Lanze und ein Hammer
- eine Geldübergabe
- und um rollende Würfel

Bei dem Herren im Profil handelt es sich um Petrus, der Jesus verleugnet. Dies tut er auf Nachfragen einer Magd, die ihn ausfragt, ob er nicht einer der Jünger dieses Jesus aus Nazareth sei. Die Dame im Profil ist also höchstwahrscheinlich genau diese Magd. Petrus wiederum erkennt man an seinem recht fortgeschrittenem Alter, am kurzen, gekräuselten Bart  und dem Lockenkranz.
Die Hand unter den beiden ergibt für mich nur insofern Sinn, als dass sie als Symbol für den Verrat an Jesus steht. Petrus gab Jesus quasi frei, er führte ihn durch seine Verleugnung den Henkern zu.
Die Haarsträhne und das spuckende Gesicht stehen für die Erniedrigungen, die Jesus vor der Kreuzigung erfuhr.
Die an das Kreuz gelehnt Lanze ist gut bekannt: Einer der römischen Soldaten, die bei Jesus´ Kreuzigung dabei waren, sticht ihm von unten mit seiner Lanze in die rechte Seite, um zu prüfen, ob er schon tot oder noch lebendig sei. Der Hammer ist ein klassisches Leidenswerkzeug und steht dafür, dass Jesus ans Kreuz genagelt wurde.
Der Erhängte und die Feigenhand könnte man Judas´ Verrat zuordnen. Der Verräter erhängte sich nämlich aufgrund seiner Verzweiflung. Die sogenannte Feigenhand soll als Symbol Verhexen und den bösen Blick abwehren. Sie kann aber auch als Verhöhnung und Verspottung genutzt werden - das Äquivalent zum heutigen Stinkefinger. Allerdings gibt es hinsichtlich der Feige an sich auch den Vergleich zwischen einer eingeritzten Feige aus der Ameisen ins Helle kommen und der mit der Lanze geschnittenen Seitenwunde Christi, durch die die Gläubigen ins göttliche Licht traten. Diese Hand kann also als reine Geste oder als Hinweis auf die symbolisch aufgeladene Feige an sich interpretiert werden.
Auch die Übergabe der Münzen ist ein klassischer Hinweis auf Judas, der sich für seinen Verrat an Jesus natürlich bezahlen ließ.
Die fallenden Würfel zählen zu den circa 30 verschiedenen Leidenswerkzeugen - unter dem Kreuz schacherten zwei Zuschauer um das Gewand des Verstorbenen.

Die linke Seite zeigt mit Lanze, Hammer, Leiter, Spottgebärden (spuckendes Gesicht, Feigenhand) , Silberlinge und Würfel sechs klassische Leidenswerkzeuge. Dazu gesellen sich noch Gesichter von Petrus, der Magd und Judas, die auf Geschichten innerhalb der Passion hinweisen.


Die rechte Seite zeigt:
- Sonne und Mond
- eine Hand mit Schwert, die ein Ohr abschneidet
- eine Fackel und eine Laterne
- eine Hand, die eine Rute führt
- einen Schwamm, der an einem Bambusstab steckt
- einen schwarzen Hahn
- eine Säule
- Fesseln (Seile)
- Geißeln
- eine Handwaschung

Sonne und Mond sind recht weitreichende und komplexe Symbole. Natürlich hatten sie schon in den paganen Glauben der Antike ihren Platz, dort wurden sie als Götter verehrt. Ihre Bedeutungen innerhalb des christlichen Glaubens sind recht vielseitig und veränderten sich über die Jahrhunderte. Es gilt zuerst einmal: Sonne = Christus, Mond = Ekklesia (die Kirche, im Gegensatz zur Synagoge) und Maria. Im Mittelalter aber tritt die Bedeutung des Mondes als Ekklesia zurück und wird mehr und mehr zu Maria. Diese Bedeutungen und ihre Durchschlagskraft variieren allerdings immer mal wieder. Sonne und Mond stehen auch schlicht für Tag und Nacht.
Es fällt mir schwer, hier eine genau Aussage zu treffen, da zusätzlich zu Sonne und Mond auch noch die Fackel und die Kerze in der Laterne dazukommen. Diese beiden Symbole stehen wiederum für die Morgenröte und die Nacht.
Entweder es geht hier um Christus und Maria oder um einen Hinweis auf die Sonnenfinsternis, die sich zur Kreuzigung Jesu zugetragen haben soll. Eine weitere Option ist, dass die Sonne für die christliche Kirche, der Mond für das Judentum steht. (Falls jemand weiß, worum es sich hier ikonographisch handelt möge mir gern eine Mail schreiben!)
Die Rute, der Stab mit Schwamm, die Säule, die Fesseln und die Geißeln finden ihre Herkunft und Bedeutung allesamt in körperlichen Qualen. Die Funktionen von Rute, Geißeln und Fesseln sind klar. Der Schwamm am Stab ist ein Essigschwamm. Als Jesus bereits am Kreuz hing und bat, man möge ihm etwas zu trinken reichen, gaben ihm die Soldaten einen Schwamm voll Essig an den Mund. Hilft natürlich nicht gegen Durst, sondern lässt den Mund bloß brennend und ausgetrocknet zurück..
An die Säule wurde er gefesselt und ausgepeitscht.
Doch auch die Handwaschung gehört zu den klassischen ikonographischen Darstellungen einer Passion. Sie versinnbildlicht die Handwaschung von Pontius Pilatus, der römische Statthalter der Kaisers in der Provinz Judäa. Es befragte das Volk, ob Jesus oder ein anderer Verurteilter gekreuzigt werden sollte. Das Volk entschied sich für Jesus und Herr Pilatus konnte so seine Hände in Unschuld waschen, er hatte ja nichts entschieden.
Der Hahn hat wiederum verschiedene Bedeutungen. Einmal rief ein Hahn Petrus nach seiner Verleugnung Christi zu Reue und Buße auf. So ist der Hahn als Symbol für reuige Sünder zu verstehen. Andererseits gilt der Hahn auch als Symbol des Sieges Christi über die Dunkelheit der Nacht und als Aufforderung zum Gotteslob am Morgen. Diese Interpretation passt gut zu Sonne und Mond, die dann ganz einfach als dunkle Nacht (ohne Jesus) und heller Tag (mit Jesus) verstanden werden könnten.
Nun zum Ohr, das abgetrennt wurde. Und zwar vom Jünger Petrus, der bei Jesus´ Gefangennahme so außer sich geraten sein soll, dass er einem der römischen Häscher das Ohr abhieb.

Der Maler Giovanni di Tommasino Crivelli, der dieses Gemälde um 1450 malte, gab alles, um möglichst viele sogenannte Leidenswerkzeuge darzustellen. Doch fügte er zudem Gesichter und Hände hinzu, die Geschichten erzählen. Jesus ist außerdem bereits tot. Seine Wunden, die Dornenkrone und natürlich das Kreuz sind wiederum Zeichen der Passion. Der Maler kombiniert den Ablauf der Geschichte (Gefangennahme (Ohr), Qualen, Gang vor Pontius Pilatus (Handwaschung), Kreuzigung, Kreuzabnahme und Auferstehung) mit weiteren Personen, die darin vorkommen (Judas, Petrus, Magd) und den Werkzeugen. 

Ich hoffe, Ihr habt durchgehalten und teilt meine Verblüffung über all die Geschichten und Personen, die in einem recht kleinen Andachtsbild vorkommen können. Die Recherche war langwierig und kompliziert. Wenn ein/e Leser/in andere Auffassungen, Ansichten oder sogar Gewissheiten zu den ikonographischen Betrachtungen haben sollte, schreibt mir gern!



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