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Ein Besuch im Kunstgewerbemuseum Berlin - Die Schale, die verschwunden war

Jonas Silber, Die Weltallschale, 1589, Kunstgewerbemuseum Berlin.


Wenn man das Kunstgewerbemuseum durch den am Wochenende zumeist recht lärmigen und vollen Vorraum der Gemäldegalerie auf dem Kulturforum betritt, senkt sich Dunkelheit und Stille über die Besucherin. Zwar sind die erleuchteten Vitrinen auf Hochglanz poliert und dennoch steigt einem der Staub der jahrhundertealten Exponate in die Nase. Zumeist ist man bis auf einige andere Verirrte allein im Erdgeschoss des Museums unterwegs, das die Bereiche Mittelalter und Renaissance abdeckt. 
Hier findet man (von eifrigen MuseumswärterInnen beäugt) groß, glänzend, majestätisch und mit Audio-Hinweis und Infoblatt versehen, die Weltallschale Kaiser Rudolfs II (s. Bild). Eine Inschrift im Innern der Schale verrät das Entstehungsjahr: 1589. Doch ist unklar was nach Herstellung aus dieser Schale aus vergoldetem Silber, getrieben, gegossen, graviert, punziert und partiell lackiert, geschehen ist. Bis zum Jahr 1703 bleibt es nebulös. In diesem Jahr taucht die wertvolle Silberarbeit in Halberstadt auf. Dort gehört sie der jüdischen Bevölkerung, die sie wiederum als Huldigungsgeschenk an Friedrich I., Kurfürst von Brandenburg und König von Preußen überreichen wird. Was tun mit solch einem opulenten Geschenk? Die Weltallschale teilt das Schicksal der meisten Geschmeide königlichen Besitzes: Sie verbringt Jahrzehnte in der Kunstkammer des Palastes und kommt schließlich im Jahr 1875 in das Berliner Kunstgewerbemuseum, in dem sie ja nun auch heute noch begutachtet werden kann.
Was sehen wir also auf dieser riesigen Silberarbeit? 



Der Fuß ist als sogenannter Dreipass gearbeitet. Die drei Hügel, die sich von der Basis aus hochwölben, zeigen eingraviert drei Kontinente: Asien, Afrika, Amerika (Hispania Nova - das neue Spanien genannt). Australien ist wohl zur Zeit der Entstehung der Schale (1589) noch nicht soweit bekannt, erforscht, besiedelt, kolonialisiert, als dass der Künstler es hier mit einbezogen hätte. Die drei galten damals in Europa als die heidnischen Erdteile, da sie weder Juden-, noch Christentum kannten.
Auf dem Fuß befinden sich kleine Tierchen, die wiederum die Kontinente symbolisieren: Elefant für Afrika, Kamel für Asien und Chimäre für Amerika. Die Chimäre ist kein biologisch nachweisbares Wesen, sie ist ein Mischwesen aus der griechischen Mythologie wobei verschiedene Kombinationen von Tieren möglich sind.
Innerhalb des hohlen Fußes ist ein Relief eingearbeitet, das Jesus als Sieger über den Teufel und die Schlange zeigt.
Ein Paradiesbaum (der mit den Äpfeln und der Schlange im Paradies) rankt sich mit den dazugehörigen Personen Adam und Eva als Sockel oberhalb des Fußes empor. Sowohl die Tiere, als auch die kleinen ersten Menschen sind unglaublich fein ausgearbeitet.
Die Krone des Baumes wird vom Salomonischen Tempel geziert. Dieser war einer der Vorläufer des heute stehenden Felsendoms auf dem Tempelberg in Jerusalem.  In diesem Tempel befand sich dem Alten Testament nach die Bundeslade, die auch im Innern des Tempels der Weltallschale zu finden ist. Die Bundeslade ist eines der mythologischen Gegenstände des Volkes Israel und enthält der Überlieferung nach u.a. die zehn Gebote, die Moses von Gott erhielt. Außerdem gilt sie bis heute als Symbol für den Bund Gottes mit dem Volk Israel. 
Im Eingang des Tempels steht ein klitzekleiner Hohepriester und auch Jesus und der Teufel erscheinen auf dem Giebel.
Der Tempel im Miniaturformat ist mit Fialen, gotischen Formelementen verziert. Bis in die Neuzeit nutzten Architekten und KünstlerInnen die gotische Formensprachen, um Glauben und Religiosität aufzuzeigen. Die berühmten gotischen Kathedralen z.B. in Frankreich aus dem 12. und 13. Jahrhundert können als die Kirchenbauten Europas angesehen werden und werden wohl deshalb immer wieder rezipiert. Interessant ist, dass scheinbar auch ein Künstler im 16. Jahrhundert (in dem die Schale ja entstand) die gotische Architektur aufnimmt, um die Wichtigkeit dieses Tempels dazustellen.



Nun schließt sich die eigentliche Schale an. Sie ist von außen und innen mit Formen verziert. Die Außenfläche der Unterseite zeigt die politische Rangordnung des Heiligen Römischen Reichs deutscher Nationen: Kaiser und sieben Kurfürsten. Des Weiteren sind 97 (!) kleine Wappen abgebildet. Die Innenseite der unteren Schale zeigt Europa als Frau mit Kaiserkrone, wobei diese verziert ist mit Landschaften wie Flüssen, Bergen und Städten. Durch Inschriften wird klar: Ihr Kopf ist Spanien, die Brust Frankreich, der rechte Arm (mit Reichsapfel) stellt Italien dar, der linke Dänemark und Schleswig-Holstein. Auf dem Kleid finden sich osteuropäische Länder wie die baltischen Staaten und Ungarn. Das Meer zeigt sich wild mit Schiffen und Delfinen. Neben diesen Schiffen zeugen Inschriften vom Stolz der päpstlichen, spanischen und venezianischen Flotten über den Sieg über die Türken im Jahr 1571. All das ist in in Treibarbeit ausgeführt. Das Silber wurde also durch Schläge mit verschiedenen Werkzeugen rückseitig bearbeitet. So werden diese konkaven Beulen von innen, nach außen hin zu konvexen (herausstehenden) Formen.
Die Unterseite des Deckels, der auf der Schale sitzt, ist mit Reliefs verziert. Während sich die Schale ja mit Europa beschäftigt, finden sich hier die sowohl historischen, als auch legendären deutschen Könige, wie allen voran und wohl der bekannteste: Karl der Große. 12 sind es an der Zahl, ihre Köpfe schauen alle zur Mitte, die Füße nach außen. In dieser Mitte befindet sich eine weitere Frau: Eine Allegorie der Germania.

Germania (Mitte) im Perikopenbuch Heinrich II., um 1010
Wie an dem Beispiel (s.o.) aus dem Jahr 1010 zu sehen, ist diese Form der Darstellung nicht neu. Allerdings zeigt sich Germania im Deckel der Weltallschale von 1571 ein wenig anders: Über ihrem Haupt schwebt der Adler, ein Löwe reicht ihr das Schwert und zu ihren Seiten schlafen zwei Kinder. Sind das Romulus und Remus, die beiden Männer, die der Sage nach von einer Fähe (weibl. Wolf) gesäugt wurden und Rom gründeten? Da sich unter der Germania ein römischer Krieger windet, liegt dieser Schluss nah. Damit kann gemeint sein: Rom als Weltreich ist vergangen, jedoch steigt das Heilige Römische Reich deutscher Nationen aus diesen Trümmern auf. Es handelt sich also um einen Machtanspruch innerhalb Europas.


Außen (jetzt also wieder für Euch sichtbar) am Deckel befindet sich das Firmament mit dazugehörigen Sternzeichen und spannt sich so also über all den Königen, Kurfürsten, Ländern und Kontinenten. Um nicht rein weltlich das Universum abzubilden, spannen sich zwei kreuzende Bögen darüber, auf deren Schnittpunkt Jesus thront. Einer von ehemals drei Engeln baumelt auch noch herum.

Zusammengefasst schafft der Künstler hier zwei Sphären, die weltliche und die heilige, die sich zu einem tiefgreifenden und komplexen Inhalt kumulieren. 
Einmal zeigt das Bildprogramm starke religiös-christliche Züge: Im Fuß beginnt es mit Jesus als Überwinder des Teufels. Es geht weiter mit dem Paradiesbaum, dem alten Tempeln des Alten Testaments und endet im überspannendem Firmament mit Jesus als Weltenrichter.
Die zweite, weltliche Ebene zeigt sich in den im Fuß dargestellten drei (heidnischen) Kontinenten und den dazugehörenden Tierchen, im unteren Teil der Schale durch den adligen Aufbau des Heiligen Römischen Reichs deutscher Nationen und vor allem durch die innen liegenden Allegorien: Europa und Germania. Auch das auf dem Deckel dargestellte Firmament kann als weltlicher Abschluss gesehen werden. Wohingegen ja der Christus den heiligen Abschluss des Kunstwerks bildet.

Neben einer profanen und einer weltlichen Ebene im Bildprogramm spielen noch die Hervorhebung, ja der visuelle Machtanspruch des Heiligen Römischen Reichs und die Gegenüberstellung von Abendland (in der Personifikation Europas) und heidnischen Kontinenten (Amerika, Asien, Afrika) im Fuß eine Rolle.

Erklärbar scheint vieles im Programm durch den (vermutlichen) Auftraggeber, den aus dem Geschlecht der Habsburger stammenden, in Wien geborenen und in Prag residierenden Kaiser Rudolf II. (reg. 1576-1612). Dieser sollte nämlich mit der Infantin Isabella Clara Eugenia von Spanien vermählt werden. Das könnte erklären, warum Spanien als Kopf der dargestellten Europa gezeigt wird. Vielleicht um sowohl den Machtanspruch der späteren Deutschen klar zu machen und dennoch Spanien deutlich eine Vormachtstellung in Europa zu lassen.

Forschungen gibt es zu den bildlichen Inspirationen des Künstlers, der wohl einige der Motive auf der Weltallschale von bspw. Holzschnitten anderer Künstler übernahm.
Nichtsdestotrotz bleibt die Schale sowohl handwerklich, als auch hinsichtlich ihres Bildprogramms und ihrer Geschichte absolut einzigartig, rätselhaft und wunderschön.












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