Christus auf dem Palmesel, Lindenholz gefasst, um 1530, Schwaben. In: Bodemuseum, Berlin. Privatfotografie. |
Heutzutage und hierzulande denkt man beim Wort Gottesdienst vor allem an langwierige Predigten und Gebete, zu denen man abwechselnd steht oder sitzt. Doch das war nicht immer so!
Im Mittelalter gehörte der Glauben so selbstverständlich zum Leben der Menschen jeglicher sozialen Schichten dazu, wie Essen und Trinken. Alle kamen (nicht nur) am Sonntag in die Kirche. Die meisten von Euch werden die großartigen gotischen Kirchen und Kathedralen, wie Notre Dame oder das Straßburger Münster kennen. Allein diese Bauten machen deutlich wie mächtig die katholische Kirche einerseits war und auch wieviel Wert auf Ausschmückung, auf Licht- und Farbkomposition gelegt wurde. Heute sind diese Kirchen und die Figuren in ihnen zumeist einfarbig grau, braun oder weiß. Doch in den Zeiten, von denen ich hier schreibe möchte, also zwischen 1200 und 1500, waren diese Kirchen bunt: Die Außenmauern, die figurale Ausschmückung innen und über den Portalen, die Fenster, die Chorschranke. Für die Menschen des Mittelalters müssen diese Bauten wie wirklich von Gott oder dem heiligen Geist bewohnt gewirkt haben. Man stelle sich vor, man käme aus den eng bebauten, dunklen und schmutzigen Gassen einer mittelalterlichen Stadt hinaus und sähe solch eine Kirche, die überladen von Ornamenten und Skulpturen allein dasteht und glänzt. Nun ginge man hinein und das Sonnenlicht bräche sich in hunderten verschiedener Farben in den Kirchenfenstern. Das muss auf die Menschen der damaligen Zeit, die ja vorher auch nur den romanischen, kleinfenstrigen, recht brachialen Kirchenbau kannten, unglaublichen eindrücklich gewirkt haben.
Doch nicht nur die Erscheinung per se überzeugte vom Göttlichen, schüchterte ein, beglückte oder ließ die Menschen in Ehrfurcht erstarren. Auch während der Gottesdienste gab es neben Gesang, Gebet und jeder Menge Weihrauch an manchen Tagen regelrechte Aufführungen, die die BesucherInnen in die Geschichten des neuen Testaments versetzen sollten und für echtes Mitfühlen (sog. compassio) sorgen sollten.
Zu einer dieser Inszenierungen gehörte am Palmsonntag der Einzug Jesu auf einer Eselin sitzend (siehe Bild oben). Häufig wurde die aus Holz gefertigte Skulptur, die auf einem mit Rädern ausgestattetem Brett befestigt war, in einer Prozession durch die Stadt gezogen, die in der Kirche endete. Diese Figuren sind meist lebensgroß und vollplastisch, das heißt, dass nicht nur die Vorderseite geschnitzt und bemalt wurden, sondern, dass die Figur von jeder Seite lebensecht wirkte.
Heute mag diese Vorstellung, den Heiland hölzern auf einem Esel durch die Stadt zu schieben etwas merkwürdig, wenn nicht gar lächerlich wirken. Doch darf der starke Glaube der Menschen und das Gefühl der Mitlaufenden, dass Jesus nun durch ihre Stadt, die an diesem einen Tag sinnbildlich für die Stadt Jerusalem steht, Einzug erhält. Der hölzerne Jesus auf der Eselin wurde für die Menschen am Palmsonntag zum echten Christus, fast wie Brot und Wein in der Eucharistiefeier wirklich zu Leib und Blut werden können. Hier spielt eben das Mitfühlen des Einzugs nach Jerusalem eine große Rolle. Es wird nicht nur davon gepredigt und die Menschen sollen es sich vorstellen; es geschieht tatsächlich!
Eines der ältesten erhaltenen Exemplare findet sich im Bodemuseum, Berlin und stammt aus dem 12. Jahrhundert:
Christus als Eselreiter, Pappelholz, Figur vom Ende des 12. Jahrhunderts, Niederbayern. In: Bodemuseum, Berlin. Privatfotografie. |
Ein weiteres Beispiel solcher Inszenierungen, die Mitleid, Mitgefühl, Liebe, Schmerz oder Demut bei den Gläubigen erreichen sollten, ist die sogenannte Schreinmadonna (HIER mehr zu Madonnendarstellungen).
Schreinmadonna, Pappelholz gefasst, Ende 13. Jahrhundert, Oberrhein. In: Bodemuseum, Berlin. Privatfotografie. |
Auf den Innenseiten der Flügel finden sich Personen, die bei der Madonna Schutz suchen. Also beispielsweise ließen sich die StifterInnen der hölzernen Madonna in ihr Inneres malen, um im Schutzmantel Marias zu stehen. Somit wird die Klappmadonna gleichzeitig zum beliebten ikonographischen Motiv der Schutzmantelmadonna.
Im obigen Beispiel aus dem Bodemuseum finden sich allerdings keine weltlichen Personen, sondern der Erzengel Gabriel und Maria selbst. Es handelt es sich also um eine Verkündigungsszene, bei der der Engel Maria beim Lesen in der Stube besucht (deshalb hat sie auf diesen Darstellungen sehr häufig ein Buch bei sich) und ihr die jungfräuliche Geburt des Heilands verkündet.
Kommentare
Kommentar veröffentlichen