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Mittelalterliches II: Karl der Große und (s)ein Pokal mit Reliquien

Karlsreliquiar, Domschatz Halberstadt, aus: Meller, Mundt, Schmuhl, Der heilige Schatz im Dom zu Halberstadt, Regensburg 2008, S. 121, Kat. 32.

In Halberstadt, das liegt in Sachsen-Anhalt, im Harz und zwischen Leipzig und Hannover, gibt es einen Dom. Dieser Dom zeichnet sich durch einen ungewöhnlich großen Schatz an liturgischem Gewand, herrlicher Goldschmiedearbeit und wertvollen Reliquiaren jeder Art aus. Dazu gehören Armreliquiare, Pokale, verzierte Straußeneier und sogar Schädel (HIER gibt es eine Einführung zu Reliquien und Reliquiaren).
Viele dieser Reliquien und ihrer Aufbewahrungsorte stammen aus Konstantinopel. Beim 4. Kreuzzug 1204 nahmen die westeuropäischen Eroberer der Stadt alles mit, was sie in die Finger bekamen. Dazu gehörten natürlich auch die heiligen, sehr wertvollen Schätze aus den Kirchen und Klöstern. Der damalige Halberstädter Bischof nahm an eben diesem Kreuzzug gegen das byzantinische Reich teil und übergab viele der mitgebrachten Reliquien 1208 an diese, seine Kirche (HIER eine kleine Einführung zu Byzanz).
Doch nun soll es ja hier um ein spezifischen Pokal aus dem Domschatz gehen: Das Karlsreliquiar, das nicht aus der Zeit Karls des Großen stammt, sondern erst im 14. Jahrhundert entstand.
Ein Pokal, der aus vergoldetem Silber und einem Noppenbecher besteht, weist einige Besonderheiten auf. Ganz unten auf dem Sechspassfuß stehen vier Löwen. Diese Raubtiere unterstreichen kunsthistorisch gesehen häufig die Macht und Stärke eines (himmlischen oder weltlichen) Regenten.
Gleich oberhalb des Fußes am Schaft des Pokals finden sich Sockel und Nodus (lat.: Knoten), die kleine gotische Gebäude darstellen. Gotische Formensprache hat immer einen christlich-religiösen Touch, da vornehmlich klerikale Gebäude in diesem Stil gebaut wurden.
Vom Schaft aus umspannen Bänder mit Scharnieren ein Noppenglas. Vom Stil her könnte aus Byzanz stammen. Allerdings kann es sich auch im islamische Glaskunst handeln. Es stammt aus der Zeit zwischen dem 9. und 11. Jahrhundert. Hinter dem Glas ist eine sogenannte Authentik zu erkennen. Diese sagen immer etwas über den Inhalt des Reliquiars aus und beglaubigen dessen Echtheit. Auf dieser steht frei und verkürzt übersetzt, dass sich in dem Glas unter anderen Teile der Häupter Karls des Großen, Petrus, Matthäus, Jakobs und so weiter befinden.
Das Glas ist am oberen Ende durch eine Rahmenleiste abgeschlossen. Ein Teil davon ist eine Bordüre, ein zweiter, breiterer Teil ist ein Band, das mit Blatt- und Rankenornamenten, Drolerien, Drachen, Köpfen von Mönchen, die Frauen küssen und Fabelwesen verziert ist. Keine christlichen Motive sind hier zu finden! Das ist ungewöhnlich, schließlich ist der Inhalt des Pokals sehr religiös, ja heilig.
Der Pokal hat einen Deckel. Auf ihm finden sich sechs Rundmedaillons, welche Ritter mit Pferden und Wappen zeigen. Also auch keine christliche Ikonographie, sondern eine ritterlich-höfische.
Die Krönung des Gefäßes bildet die Büste eines bartlosen, langhaarigen Mannes mit der Inschrift: Rex Sancuis Carolus. Es handelt sich also um Karl den Großen, ein weltlicher Herrscher des 8. und 9. Jahrhunderts , der im Jahr 1165 heilig gesprochen wurde.
Was soll nun diese hybride Form des Pokals, teils weltlich (Ritter, Drolerien, Karl der Große), teils klerikal (Reliquien)?
Ab der Mitte des 14. Jahrhunderts entwickelt sich ein Karl-Kult in Europa, weil Karl IV., der in Prag seinen Sitz hatte, sich in einer Erbfolge mit Karl dem Großen sah und diesen Hype um den berühmten Herrscher so neu entfachte. Das Bistum Halberstadt konnte wiederum Karl den Großen als Bistumsgründer vorweisen und wollte so natürlich am Hype um den Herrscher teilhaben. Es ging dabei aber nicht nur um Prestige, sondern schlicht auch um Geld: Gläubige und Pilger wurden so in die Stadt gelockt, der Ablasshandel florierte.
Der Karlspokal, der ja nicht nur einen Teil des Kopfes des Herrschers enthält, sondern auch seine Büste trägt, suggeriert durch seine höfischen Formelemente einen direkten Kontakt zum heiligen Kaiser selbst. Er wirkt als ob er eben noch auf der Tafel Karls gestanden hätte. So zeigt er einerseits die Nähe des Bistums Halberstadt zu Karl (Bistumsgründer!) und andererseits fungiert es als wertvolles Reliquiar, das es zu besuchen gilt.

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